Kinderspiele

 
 



Alle Heiterkeit ist trotz des schönen Wetters aus der herrlichen Stadt am Arno verflogen, wie vom Winde, dem Tramontano, verweht. Die Angst geht um. Kinder tyrannisieren die Bürger, auf Straßen und Plätzen toben die nicht einmal Zehnjährigen und glauben eine gottselige Tat zu vollbringen, wenn sie die Erwachsenen belästigen. Ein Korrespondent unseres Journals, Graf  G. (der Name ist der Redaktion bekannt), sah dieser Tage in einer engen Gasse einen kleinen Jungen, der laut aufschrie, andere Kinder liefen zu ihm: was denn los sei? Der Kleine, immer noch heulend, zeigte auf einen vornehm gekleideten Mann, der ruhig seines Weges ging: dieser Flegel habe ihn mit der Faust auf den Kopf geschlagen. Und warum? „Weil ich ihm
seinen venezianischen Spitzenkragen abreißen wollte“, antwortete Boni, so sein Name: Bonifatius, einer der Heiligen unserer Kirche. Die Kinder verfluchten diesen Schlagetot: man müsse ihn in Stücke reißen. Einer kannte ihn, ein Gegner des gottgesandten Savonarola sei es, der Bildhauer Torrigiani, der weder Christus noch die Heilige Jungfrau liebe, also ein gottloser Heide sei. Aber er konnte die anderen Kinder beruhigen: der Mann sei zu stark, um in Stücke gerissen zu werden.

Und wer kennt ihn nicht, diesen Pietro Torrigiani? Er war es ja, der dem jungen Michelangelo B., als beide ihre Malstudien in der Carmine nach den Fresken Masaccios trieben, mit einem Faustschlag das Nasenbein zerbrach und sich dieser Tat noch nach Jahren im Gespräch mit Benvenuto Cellini rühmte. Fluchtartig hatte er die Stadt verlassen, war durch Europa gereist…  Als die Stadt durch Savonarola zu einem besseren gottgefälligen Leben geführt worden war, tauchte er unerwartet, wenn auch nicht Gott gefällig, wieder auf, um kleine Jungen zu schlagen. Überhaupt trieb er hier sein nicht sehr höfliches Wesen. In Gesellschaft mehrerer Künstler machte er seinem Haß auf Savonarola lautstark Luft: wer diesen »Schmeichler des Pöbels, diesen Phrasendrescher, diesen tollen Scheinheiligen« –  so seine Worte – ehre, der sei ein »Jammerprinz« den er zum Teufel wünsche. Und fluchte, daß man es unten auf der Gasse hören sollte:

„Beim Bacchus, glaubt ihr, daß die Freuden dieser Welt geschaffen sind, damit man sie mit den Füßen trete? Glaubt ihr, daß die schönen Weiber dazu gemacht sind, um in fest verschlossenen Klöstern leibhaftig zu verfaulen?“ Und die letzten Worte dieser anmaßenden Tirade: „Wahrhaftig, nein! Ich rufe, ich schreie euch zu: ihr seid Pinsel, Affen ungesunder Vollkommenheit, Ungeheuer von Abgeschmacktheit!“ Sandro Botticelli, sein Malerkollege, soll ihn vorsichtig gewarnt haben. Noch heute abend werde er, entgegnete Torrigiani, Florenz verlassen, um nichts mehr davon zu hören und zu sehen – was er sicher getan hat, sollte er in der Stadt gewesen sein. Daß er den kleinen Boni auf den Kopf geschlagen hat, ist ihm jedenfalls zuzutrauen.

Die Kinder sind es, die in Florenz jetzt den Ton angeben und ein strenges Regiment führen. Sie tragen, wie wir aus anderen Nachrichten zuverlässig erfahren, ein kleines rotes Kreuz in der Hand oder zieren damit ihre weißen Blusen – Zeichen der Unschuld –, tragen zuweilen Ölzweige, um sich als Friedensboten aufzuspielen. Mit engelgleicher Stimme singen sie den Lobgesang, wenn der Prophet Fra Girolamo zum Dom Santa Maria del Fiore geht. Statt in der Schule zu lernen, versammeln sie sich um den Prediger Fra Domenico, den Freund Savonarolas, der eine besondere Art hat, die Kinder für sich einzunehmen. Es gibt allerdings auch Bösartige unter den Kindern. So ging einmal – oder mag es mehrfach vorgekommen sein? – ein Junge auf zwei wohlgekleidete und anständige junge Frauen zu und befahl ihnen im Namen Gottes und der Heiligen Jungfrau Maria, ihren Schmuck abzulegen und alle Samt- und Seidensachen auszuziehen. Man bedenke: auf offener Straße! Die erste Frau antwortete dem Frechen mit aller Liebenswürdigkeit, sie werde ihm sogleich gehorchen, möchte
aber erst nach Hause gehen, und die andere meinte, sie müsse sich erst ein neues Kleid nach der jetzigen wollenen Mode schneidern und nähen lassen. In dieser Lage waren es doch zwei verständliche Wünsche.

 

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